“Das Einfühlungsvermögen der User ist rückläufig”
Firmen schöpfen immer mehr Daten über ihre Kunden ab, um ihre Produkte zielgruppenspezifisch anzupreisen. Neben Alter, Geschlecht und Kaufhistorie etc. werden in naher Zukunft auch Emotionen präzise ausgelesen. Apps und Programme sollen dabei helfen. Sie werden immer besser darin, menschliche Regungen durch Analyse von Gesichtsausdrücken und Stimmlagen zu interpretieren. Welchen Nutzen und welche Gefahren davon ausgehen, verrät die Social Media Expertin Sonja Greye von Greye Consulting.
“Das Einfühlungsvermögen der User ist rückläufig”
Frau Greye, das Internet ist im steten Wandel. Vor ein paar Jahren kam das Schlagwort Web 2.0 zum Vorschein – die Einbettung des Internets in den täglichen Gebrauch u.a. durch soziale Medien. Was hat sich seit dem verändert?
Sonja Greye (SG): Die Digitalisierung der Gesellschaft begann nicht erst mit Social Media sondern schon mit dem Internet an sich. Es handelt sich quasi um eine Entwicklung. Ähnlich wie beim Mobiltelefon nutzen die Menschen mittlerweile auch andere Kanäle für die zwischenmenschliche Kommunikation. Was vor dreißig Jahren mit dem Beispiel des Handys noch unvorstellbar war, ist mittlerweile für die wenigsten Menschen noch aus dem Alltag wegzudenken. So ähnlich verhält es sich auch mit sozialen Medien. Ob diese Kommunikation nun über Facebook oder andere Netzwerke geschieht ist sekundär, denn diese sind substituierbar. Digital zu kommunizieren und das Internet immer bei sich zu tragen ist dagegen eben kein Hype, sondern eine Entwicklung.
Gerade der Einsatz von Software zur Emotionsanalyse macht riesige Fortschritte. Es muss ein Traum für die Firmen sein, sehen zu können, wie und wann die potentiellen Käufer auf ihre Produkte reagieren. Positive Emotionen sind schließlich Kaufgrund Nr. 1. Wir beurteilen Sie diese Entwicklung?
SG: In der Tat! Die Menschen hinterlassen heute teils unbewusst aber auch durchaus bewusst ihre Spuren im Internet. Sie gehen dabei sehr offen damit um, was ihnen gefällt und was nicht. Aus Unternehmenssicht bieten sich hier wunderbare Möglichkeiten zur Marktforschung und diese Erkenntnisse direkt umzusetzen. Man muss allerdings auch zuhören und evaluieren. Bei aller Technik sollte man aber gerade bei Emotionen nicht vergessen, dass eine Software eben kein Mensch ist und gerade Feinheiten nicht auslesen kann. Eine Software zur Analyse macht auf jeden Fall Sinn, ersetzt allerdings nicht die Evaluation von Menschenhand.
Welchen Nutzen sehen Sie für den privaten User – z.B. in den sozialen Netzwerken?
SG: Menschen sind in erster Linie in sozialen Netzwerken unterwegs, um Kontakt mit ihren Freunden, Bekannten und anderen Bezugspersonen zu halten. Im Grunde ist dies nichts anderes als die teilweise Verlagerung von phatischer Kommunikation und sozialer Interaktion in den digitalen Raum. Dabei spiele räumliche Barrieren keine Rolle mehr.
…und welche Gefahren bestehen aus Ihrer Sicht?
SG: Die größte Gefahr besteht darin, dass Menschen nicht über ausreichend Medienkompetenz verfügen und sich nicht im Klaren darüber sind, dass der virtuelle Raum durchaus auch öffentlicher Raum ist, auch wenn man ganz privat hinter seinem Rechner daheim sitzt. Meine Devise lautet immer: der beste Datenschützer ist der gesunde Menschenverstand. Wenn man diesen weise nutzt und allgemein gültige Verhaltensregeln der Gesellschaft befolgt, kann man die Gefahren minimieren.
Empathie ist Ihnen bei Ihrer Arbeit wichtig. Wird durch den Einsatz von Emotionsanalysesoftware das Einfühlungsvermögen der User leiden? Ähnlich wie seit der Einführung des Navis – die Fähigkeit handelsübliche Karten zu lesen nimmt ab.
SG: Ich finde es schwer, hier Prognosen abgeben zu können. Wie Eingangs schon erwähnt, kann ich mir nicht vorstellen, dass Emotionsanalysesoftware einen Menschen ersetzten kann und auch weniger dass ich Menschen alleine darauf verlassen. Das Einfühlungsvermögen der Internetuser ist allerdings grundsätzlich rückläufig. Wie in meiner letzten Antwort erwähnt, verhalten sich viele Menschen im Internet unter vermeintlicher Anonymität anders. Das bedeutet, dass der Umgang grundsätzlich etwas rauer ist.
Google arbeitet seit geraumer Zeit an der Datenbrille Google Glass. Zur Marktreife hat es bisher noch nicht gelangt. Programme, die der Emotionsanalyse dienen, könnten das ändern. Wie stehen Sie zum Einsatz der Brille?
SG: Man muss hier den deutschen Markt vielleicht etwas vom amerikanischen Markt unterscheiden. In den USA ist die Google Glas durchaus marktreif. Augmented Reality an sich ist auf dem Vormarsch und in vielen Ländern schon in unterschiedlichen Bereichen im Einsatz. Der deutsche Markt ist hier etwas schwierig, weil die Menschen grundsätzlich skeptischer digitale Entwicklungen adaptieren und Angst vor zu viel Transparenz haben. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass hier noch viel Platz nach oben ist. Die Vergangenheit hat allerdings gezeigt, dass gerade im Bereich der Digitalisierung vieles anders kommt als man denkt.
Frau Greye, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Robert Körner